(Quelle: flickr, National Institutes of Health)
In der deutschsprachigen Öffentlichkeit wird meist der Begriff "Hochsensibilität" benutzt. Allerdings existieren einige Gründe, warum "Sensitivität" der geeignetere Begriff ist.
Von Dr. Patrice Wyrsch (Review: Dr. Teresa Tillmann)
Als vor rund 20 Jahren erstmals die Forschungsergebnisse von "Sensory Processing Sensitivity" im deutschsprachigen Raum diskutiert wurden, war dafür ein einfacher, deutschsprachiger Begriff vonnöten. In den letzten Jahren hat sich schliesslich der Begriff "Hochsensibilität" etabliert. Allerdings wird im Kontext der neusten Forschungsergebnissen klar, dass der Begriff "Sensitivität" aus mindestens drei Gründen geeigneter ist.
grund 1: Wahrnehmungsfähigkeit
Innerhalb der Sensitivitätsforschung wird zunehmend deutlich, dass Sensitivität eine Art Wahrnehmungsfähigkeit ist (vgl. z.B. PLUESS, 2015; LIONETTI ET AL., 2018). Somit stellt die erhöhte Wahrnehmung die primäre Eigenschaft von hochsensitiven Personen dar. Was die Konsequenzen dieser erhöhten Wahrnehmung sein können, ist hingegen sekundär. Allerdings impliziert der Begriff "Hochsensibilität" eine sensiblere Reaktion auf Umwelteinwirkungen, was zwar durchaus der Fall sein kann, aber eben nicht primär, sondern sekundär ist. Daher ist der Begriff "Sensitivität" genauer als der Begriff "Hochsensibilität".
Grund 2: Sensitivitätskontinuum
Spätestens seit der neusten Studie von LIONETTI ET AL. (2018) kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei hochsensitiven Personen nicht um eine klar abgrenzbare Gruppe handelt. Vielmehr existiert ein Sensitivitätskontinuum, welches sowohl Individuen mit hohen als auch tiefen Sensitivitätslevels umfasst. Daher ist der Begriff "Sensitivität" ausgewogener als der Begriff "Hochsensibilität", welcher auschliesslich auf hochsensitive Personen verweist.
Grund 3: Neurosensitivität
Innerhalb der Sensitivitätsforschung wird zunehmend deutlich, dass die zwischenmenschlichen Sensitivitätsunterschiede eine neuronale Basis haben (vgl. z.B. ACEVEDO ET AL., 2018; HOMBERG ET AL., 2016; MOORE & DEPUE, 2016). Daher benutzt PLUESS (2015) den Begriff "Neurosensitivity", um auf die Sensitivität des zentralen Nervensystems als höchstwahrscheinlich zugrundeliegener Mechanismus von Sensitivität zu verweisen. In diesem Kontext ermöglicht der Begriff "Neurosensitivität" eine noch präzisere Beschreibung dieses fundamentalen Persönlichkeitsmerkmals.